Thunderbird

Der Thunderbird ist Tod, es lebe der Thunderbird

Als in Motor City 1952 bekannt wurde, dass Chevrolet die Serienfertigung eines Sportwagens mit Kunststoff-Karosserie, der Corvette, erwäge, sah sich Ford plötzlich in Zugszwang. Zwar hatte ein Zweisitzer nur begrenzte Absatzchancen, aber ein Sportwagen versprach als Marketing-Instrument die Popularität der gesamten Modellpalette zu fördern. Daher sollte das geplante Modell auch sofort und ohne Zweifel als Ford auszumachen sein.

Bereits ein Jahr zuvor, auf dem Pariser Automobilsalon, hatte Ford-Vizepräsident Lewis Crusoe mit einem Sportwagen geliebäugelt. Beim Anblick der ausgestellten Jaguar XK 120 und Bugatti 101 fragte er seinen Berater Georg Walker: "Warum haben wir sowas eigentlich nicht?" Schlagfertig griff der Industriedesigner zu einer Notlüge: "Wieso, wir arbeiten doch an einem Sportwagen!" Erst später befehligte Walker seinen Mitarbeiter in Dearborn per Telefon, sofort mit der Konzeption eines zweisitzigen Sportmodells zu beginnen. Wie allerdings die Konzeption für einen sportlichen Ford auszusehen hat, wurde erst deutlich, nachdem Chevrolet die Corvette 1953 erstmals der Oeffentlichkeit vorgestellt hatte. Im Lastenheft wurde festgelegt, dass der Thunderbird ein offener Zweisitzer mit Stoffverdeck werden sollte und mit einem Maximum an Teilen aus dem Ford-Regal auskommen müsse. Mittels eines V8 Motors aus der Serienpalette - an einen Sechszylinder wie bei der Corvette wurde zu keinem Zeitpunkt gedacht - sollte das Auto schneller beschleunigen als die Konkurrenz. Eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 160 km/h erreichen und über eine gleichmässige Gewichtsverteilung auf beiden Achsen verfügen.

Innerhalb von wenigen Wochen wurde mit grossem Aufwand die ersten Modelle entworfen und an Detaillösungen gefeilt. Nach langem hin und her über die Frage, ob man das neu entwickelte Auto tatsächlich in Serie produzieren wollte, präsentierte Ford 1954 ein türkis lackiertes Holzmodell auf der ersten Nachkriegs-Autoausstellung in Detroit. Erst später kam von einem Ford-Mitarbeiter der Vorschlag, das Auto Thunderbird, zu deutsch "Donnervogel" zu taufen. - Thunderbird ist der Name des indianischen Glücksbringers und Herrschers über Regen, Blitz und Donner, der durch die Macht der Urgewalten die Wüsten und Felder mit fruchtbarem Regen überzieht.- Crusoe belohnte den Mitarbeiter mit $ 250.-- für einen neuen Anzug.

Nachdem Chevy gezeigt hatte, wie man es nicht machen sollte, entschieden sich die Ford-Leute für eine herkömmliche Stahlblech-Karosserie, deren Linien schnittig und elegant wirkten. Statt einer flatterigen Verdeckplane erhielt der Thunderbird ein Allwetter-Verdeck und versenkbare Seitenscheiben, ausserdem war ein festes Hardtop erhältlich. Vor allem aber trieb ein eigens dafür hergerichteter 4.8 Liter Mercury V8 Motor mit 193 PS den Thunderbird an. Wer statt des manuellen Dreiganggetriebes mit Knüppelschaltung die Ford-o-matic wollte, bekam 5 PS mehr.

Der T-Bird, wie er von seinen Liebhabern genannt wird, wurde 1955 zum Preis von US $ 2’944.-- angeboten, während die Corvette aus dem gleichen Jahr US $ 2’934.-- kostete. Der Preis des Thunderbirds war natürlich der Corvette angepasst worden, um dem Neuankömmling von Ford die besten Chancen zu lassen. In Deutschland kostete der Thunderbird in der einfachsten Ausführung DM 21’950.-- (zum Vergleich: Ein Mercedes 300 SL kostete damals DM 29’000.--). 16’000 der donnernden Vögel konnte Ford im ersten Produktionsjahr verkaufen, während die Corvette arge Einbussen hinnehmen musste, von 3’640 Fahrzeugen im Jahre 1954 auf 674 Stück im Jahre 1955 und das obwohl für 1955 endlich ebenfalls ein V8 im Angebot war. Aber die Amerikaner, grundsätzlich argwöhnisch gegenüber allem Neuen im Automobilbau, hatten das Kunststoffauto längst noch nicht akzeptiert.

Doch Ford blieb auf der Hut! So konnte man ab 1956 auch den 5.1 Liter V8 mit bis zu 225 PS haben. Damit beschleunigte der T-Bird in unter 10 Sekunden von 0 auf 100 km/h! Gleichzeitig zollte man dem fraglos vorhandenen Komfort-Bedürfnis Tribut, indem die Federung weicher ausgelegt wurde. Um einen grösseren Kofferraum zu bieten, feierte das sogenannte "Continental-Kit" seine Auferstehung: Das in einer Blechummantelung liegende Reserverad war nun in einem ausgeformten Teil auf der hinteren Stossstange plaziert. Weitere minimale Detailänderungen der Karosserie, wie die Lufteinlassöffnungen an den vorderen Kotflügeln zur Kühlung des Fussraumes, traten hinter einem Styling-Gag von Bill Boyer zurück: Wahlweise verzierten nun zusätzliche kleine Bullaugen das Hardtop. Eine Legende wurde geboren, der Thunderbird wie ihn je-der kennt!

Mit 21’380 Stück erlebte der Ur-Thunderbird 1957 schliesslich seinen Höhenflug. Grund dafür waren eine noch stärkere Motorisierung und ein modisches Facelift, das Fords Sportwagen ausgesprochen gut stand. Eine mächtige Stossstange schloss nun den Grill mit ein, und die verlängerte Heckpartie, in deren Kofferraum wieder brav das Reserverad schlummerte, lief in kleinen, spitzen Flossen aus. Der 4.8 Liter V8 Motor mit Knüppelschaltung leistete nun 212 PS, aber das war nur die einfachste Motorisierung, denn der grössere 5.1 Liter holte mit Doppel-Vierfachvergaser bis zu 300 PS, und damit waren die T-Bird schneller als 200 km/h. Den neu zusätzlich angebotenen Continental-Kits fehlte jedoch das feine Design der Originalversion; die lang herausgezogene Stossstange war zwar bombastisch, aber kaum elegant.

Ford hatte bewiesen, auch einen Sportwagen in grösseren Stückzahlen verkaufen zu können, nur hielt sich der Verdienst in Grenzen. Für Generaldirektor Robert S. McNamara, der 1955 zu Ford gekommen war, Grund genug sich zugunsten einer viersitzigen Variante zu entscheiden, die allen Marktanalysen zufolge noch grösseren Erfolg versprach. Damit ist die Geschichte des kleinen, zweiplätzigen Cabriolets, dessen Karriere nur drei Jahre gedauert hat auch schon zu Ende. Die zweisitzigen Thunderbirds sind heute in den USA wahre Kult-Autos, allen voran das Modell 1956! Der T-Bird schlechthin, wie ihn jeder kennt! Das Modell mit dem Reserverad (Continental-Kit) am Heck und dem legendären Bullaugen-Hardtop.

Ford hatte bewiesen, auch einen Sportwagen in grösseren Stückzahlen verkaufen zu können, nur hielt sich der Verdienst in Grenzen. So entstand 1958 (erstmals in selbsttragender Karosseriebauweise) ein brutal dreinblickender Nachfolger, dessen "abgeschnittene", eckige Dachlinie der zweiten Thunder-bird-Generation den Namen "Squarebird" eintrug und der damit nicht nur auf lange Sicht den gültigen Trend für die späteren T-Birds setzte, sondern auch für die kommenden Ford-Generationen. Das Modell 1958, das als Cabriolet und Hardtop lieferbar war (letzteres zum ersten Mal beim Thunderbird), wurde zum durchschlagenden Erfolg. Der sportliche Luxus und der lockere, aber nicht zu legere Charakter des Hardtop fanden beim Käufer Anklang. Ford kam mit der Fertigung gar nicht mehr nach, stiess aber vom 58er Modell immerhin mehr als doppelt so viele Exemplare wie vom letzten Zweisitzer aus. McNamara hatte seine Genugtuung. Trotz des fast revolutionären Charakters des viersitzigen T-Bird stellte Ford nur 5 Millionen Dollar für den Entwurf und Konstruktion sowie weitere 2 Millionen für die Modellpflege bis 1960 bereit. Galoppierende Kosten für das Cabriolet frassen letzteren Posten jedoch grösstenteils auf, daher blieb das Modell 1959 weitgehend gleich. Abgesehen von Retuschen an Zierteilen und Aenderungen an der Hinterradfederung (Einzelradaufhängungen mit vier Schraubfedern ersetzten die alte Konstruktion mit hinteren Blattfedern) war lediglich der gegen Aufpreis lieferbare 430er V8 (7.1 Liter) aus dem Lincoln neu sowie gegen Ende der Saison das serienmässige, vollautomatische Verdeck des Cabriolets. Das Modell 1960 beschloss diese Generation mit drei einzelnen Rückleuchten, einem verschnörkelten Grill, einer reichhalterigen Serienausstattung und dem als Extra lieferbaren Stahlschiebedach des Hardtops (dem ersten in der US-Nachkriegsproduktion). Trotz minimalen Modifikationen verkaufte sich der Thunderbird weiterhin sagenhaft: Ueber 67’000 Stück im Jahr 1959 und fast 91’000 Stück im Jahr 1960. Letztere Rekordzahl sollte der Thunderbird erst 1977 wieder überbieten.

Unter dem Motto "Unmistakably new, unmistakably Thunderbird!" überraschte Ford 1961 mit der dritten Thunderbird-Generation. Die völlig glatte, leicht abgerundete Form erinnerte an den 60er Ford-Jahrgang. Die vorn flach anlaufende Kotflügellinie wurde von einer bis nach hinten in kleine verschämte Flossen auslaufenden Zierleiste begleitet. Nahezu verdeckte Hinterräder und eine weit aufs Dach reichende grosse Frontscheibe lösten die Endfünfziger-Stielepoche ab. In dem nach unten abfallenden Grill sassen tief eingebettete Doppelscheinwerfer, am hinteren Kotflügelende leuchteten in neuer Ford-Tradition kreisrunde, tellergrosse Lichter. Bequemlichkeit war alles, der Thunderbird hatte ein "swing-away-Lenkrad", das sich in der Park-Stellung des Automatik-Hebels nach rechts wegklappen liess und so den Ausstieg erleichterte. Neben dem Cabrio und dem Hardtop-Coupé bereicherten 1962 und 1963 zwei weitere Varianten das Programm. Ein mit US $ 77.-- Aufpreis dotiertes Landau-Coupé mit Kunstlederdach und stilisiertem Cabrio-Scharnierbügel der 30er Jahre an der C-Säule verkaufte sich nicht schlecht - ganz im Gegensatz zum Sport-Roadster. Die Idee, durch eine elegante Fiberglas-Abdeckung aus dem Viersitzer einen Zweisitzer zu zaubern, kam dem neuen Generalmanager Lee Iacocca. Ohne Oeffnen und Schliessen des Verdeckes zu beeinträchtigen, formte sich die von Bud Kaufmann entworfene Abdeckung hinter den Vordersitzen zu zwei hohen Kopfstützen und verlieh dem Wagen einen besonderen Touch. Mit wenigen Handgriffen konnte das Formteil entfernt werden, so dass wieder vier Sitze zur Verfügung standen. Der US-Hersteller Kelsey-Hayes lieferte Drahtspeichenräder mit Zentralverschluss-Attrappen, die leider nicht mehr unter die Fender-skirts passten, so dass man diese (obendrein der sportlichen Betonung halber) wegliess. 1962 und 1963 entstanden nur 1’427 resp. 455 Stück des Sport Roadsters, dies bedeutete das Aus für den Roadster, der nicht mehr als Sondermodell geführt wurde.

Die vierte Generation des Thunderbirds hatte sich nicht allzuweit von der dritten Generation entfernt. Beibehalten wurde der Unterbau und die Basiskarosserie, während der Radstand sich nur geringfügig erhöhte. Ganz anders hatte Ford jedoch die Aussenhülle gestaltet. Der Wagen hat jetzt eine kraftvolle Optik, die die Designer durch Verlängern der Motorhaube und Kürzen der Dachpartie erreicht haben. Das Heck ist klarer gezeichnet und ebenfalls voller Kraft. Grund sind zwei der grössten Heckleuchten, die je an einem Automobil zu sehen waren. Ford wollte die Fahrtrichtungsanzeiger der 64er Modelle mit einer Intervallschaltung (Blinker mit ungleichem Blinkbeginn) einführen, kam aber in Konflikt mit den Regelungen einiger Bundesstaaten und sah sich daraufhin gezwungen ein Jahr lang zu warten, bis die offizielle Genehmigung erteilt wurde. Bei uns in der Schweiz ist die Verwendung dieser "Intervall-Blinker" (Sequential Turn-Signals) auch nicht klar geregelt. In den Typenscheinen des 65er (TS Nr.: 4’475) resp. 66er (TS Nr.: 5’322) Thunderbird ist unter Bemerkungen und Ausnahmen folgendes festgehalten: Blinker hinten: 3 Lampen mit ungleichem Blinkbeginn. Somit ist laut Typenschein diese doch sehr beeindruckende Originalausstattung erlaubt. Bei den Cougar und Thunderbird Modellen bis 1969 ist keine Erwähnung über diese Blinker mehr enthalten. Erst ab Modelljahr 1970 ist in etwa folgendes zu lesen: Die hintere Blinkanlage (je Seite 3 nacheinander von innen nach aussen blinkende Leuchten) wird ausgeschaltet. Es bleiben je Seite 1 Blinker bestehend aus 2 Leuchten kombiniert mit Stoplichter. Heute jedoch sind auch 3 Leuchten erlaubt, sofern sie eine Einheit bilden. Eine schriftliche Anfrage der Friday Night Cruisers vom Oktober 1994 beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement in Bern, betreffend den Reihenblinkern, ist bis heute noch nicht schriftlich beantwortet worden. 1964 wurden vom Thunderbird über 90’000 Stück verkauft. Das 65er Styling ähnelte dem 64er, nur hatte man die Front etwas lebendiger gestaltet und die dünnen horizontalen Streben des Kühlergrills mit sechs vertikalen Streben unterteilt. Ferner sorgten "dummy" Luftschlitze hinter den vorderen Radausschnitten und neue "turbo style" Radzierblenden für eine sportliche Optik. Der Ford Division gelang es , 1965 75’000 Thunderbirds zu verkaufen. Die 66er Modellreihe bestand wieder aus Hardtop, Convertible und Town Landau, wurde diesmal aber ergänzt durch ein neues Town Hardtop, das statt des gepolsterten Vinyldaches und der fingierten Landau-Spannerstangen ein normales, lackiertes Dach hatte und US $ 100.-- billiger war als der Landau. Endlich kamen auch die leistungsbewussteren Kunden zum Zuge, sie hatten jetzt die Möglichkeit, einen Thunderbird mit 428 ci V8 und satten 345 PS zu fahren und das für nur $ 64.-- Aufpreis. Der 428er beförderte einen Thunderbird nun in knapp 9 Sekunden auf 100 km/h und war gut für eine Höchstgeschwindigkeit von gegen 200 km/h.

Der Thunderbird von 1967 bis 1969 setzte auf ein neues Design, das mittlerweile die fünfte Modellgeneration einläutete und sich völlig von dem Unterschied was man bisher von den Donnervögeln gewohnt war. Das Cabriolet war aus dem Verkaufsprogramm gestrichen, dafür gab es eine viertürige Limousine, die sich gut verkaufte, aber nicht mehr so recht in das T-Bird-Image passen wollte. So grosse Aenderungen musste sich seit 1958 noch keine Thunderbird-Generation unterziehen. Das Ferrari-ähnliche Vorderteil mit seinen versteckten Scheinwerfern, der fahrzeugbreiten Kühlermaske und der feingliedrigen Stossstangen war wirklich ein imposantes Gebilde. Der Grill wirkte wie eine Einheit, gliederte sich aber in drei Teile: In der Mitte die Kühleröffnung sowie jeweils links und rechts daneben ein Paneel mit den darauf montierten Scheinwerfern, das sich bei Bedarf um die eigene Achse drehte und so die Lampen freigab. Die 67er bis 69er Thunderbirds waren die ersten Fords die ein solches Feature hatten. Für das Modelljahr 1968 lautete der Ford-Werbeslogen: "Thunder for sale: 2 doors or 4". Ein erhöhtes Sitzplatzangebot sollte die Verkaufszahlen in die Höhe schrauben, weshalb Ford den Thunderbird serienmässig mit einer vorderen Sitzbank ausrüstete. Dementsprechend standen auch sechs Modelle zur Auswahl: Hardtop, zwei- oder viertüriger Landau, alle zu haben mit Sitzbank oder Einzelsitzen. Die meisten Zweitürer wurden mit Einzelsitzen, die Viertürer in der Regel mit Sitzbank geordert. Für 1968 war Ford gezwungen, aufgrund neuer Bundesgesetze vorn seitlich Positionsleuchten, hinten seitliche Reflektoren, in der Türverkleidung verformbare Armlehnen sowie ebenfalls verformbare Sicherheitslenksäule einzuführen. Das Styling änderte sich nur geringfügig. Die 68er Verkaufszahlen lagen weit unter denen des Vorjahres und das 69er Ergebnis war sogar das schlechteste seit 1958. Der Thunderbird, so klagten viele, war nichts Besonderes mehr und anderen Fahrzeugen zu ähnlich. Schliesslich musste er seine Führungsrolle in der "personal luxury"-Klasse an den Pontiac Grand Prix und den Buick Riviera abgeben. Was an sportlichem Image noch vorhanden gewesen sein mag, blieb in den folgenden Jahren auf der Strecke. Ende der achtziger Jahre meldete er sich jedoch in der Leistungsklasse zurück, von 1984 bis 1988 zunächst mit Turbolader, da-nach mit Kompressor.

 

Markus R. Härri